traditionell- sensationell?

mitten im heutigen schneeorkan steht plötzlich die emine vor mir. so eine freude! wir umarmen einander wie wild und tauchen ins nächste cafe ab, um ausgiebigst zu tratschen.
emine ist jetzt erfolgreiche tourismus-fachfrau und erzählt, dass sie wahrscheinlich wieder das kopftuch tragen wird, weil sie erst jetzt den wahren sinn darin erkennt und auch um ihrem vater zu helfen, traditionen zu bewahren etc….. ..?...
meinetwegen, wenn sie das so will. ich selber habs nicht so mit den traditionen, aber da fällt mir zum thema eine kleine geschichte ein;
es war vergangenes jahr in genf. an der seepromenade gibt es so einen schrein oder tempel, ich merk mir nie was das für n ding ist, jedenfalls ist es ein beliebtes touristen-foto-motiv. ich mag den platz, denn frau hat von dort aus auf den zinnen oder mäuerchen sitzend einen schönen ausblick über einfach alles was sich da so bunt und lebendig tut.
ich sitz also und blicke, da kommt eine gruppe leute, die hier auch foto machen will. es stellt sich heraus, dass eine bar mizwa gefeiert wurde und jetzt soll die ganze mischpoche auf ein erinnerungsfoto. während immer mehr familie auftaucht und sich fürs gruppenbild postieren will - inzwischen sind bereits 20 bis 30 köpfe hier versammelt - bemerkt die rührige mamele, dass die schnürsenkel des ehrenknaben offen sind und ermahnt ihn sie zuzubinden.
das ist aber offensichtlich leichter gesagt als getan, denn der bub bemüht sich redlich, aber es will und will keine masche oder knoten entstehen.
der tate fordert ungeduldig eile, die omas, die opas, ja die ganze sippe gibt anweisungen während sie rumstehen und zusehen, aber es wird nichts, der schuh bleibt ungebunden.
ich schau in die gesichter und kann die menge direkt denken hören, wie sie still aber verächtlich die eltern für ihren unfähigen unselbständigen sohn, diesen dummkopf, kritisieren.
da erscheint eine gütige fee in gestalt meiner häx. die ist nämlich aufmerksam geworden und geht nachschauen, was das kind da so lange in der nähe des fußbodens, der ja eigentlich ihre domäne ist, macht. sie läuft hin und schnüffelt. ich merke, dass der bub gar keine notiz vom hund nimmt und das kommt mir seltsam vor, also rufe ich häxi nicht ab, sondern geh auch hin, beuge mich runter und aus den augenwinkeln sehe ich das gequälte gesicht des 'dochnochimmerkindes' ganz nass von schweiß und tränen. ich hieve meinen hintern zwischen die zuschauer und den schuh und binde ihn flink zu. der junge springt erleichtert auf, die menge klatscht in die hände und alle tun so, als ob sie nix von meiner einmischung bemerkt hätten. die ehre der eltern ist gerettet!
ganz klar, eine bar mizwa ist ein besonderer tag zum erwachsenwerden und offensichtlich gehört es dazu, imstande zu sein, sich die schuhe selber zu binden. jüdische eltern sind zwar an sich bekannt für die liebevolle erziehung ihrer kinder – außer es geht um traditon.