Follower

Frauenzeichen

Frauenzeichen
i hau den huat drauf

29.01.2009

Frauen & Zeichen


Warum das Patriarchat zu Ende ist
(v. Antje Schrupp)

Ich möchte zwei Geschichten erzählen, auf die ich kürzlich bei meinen Recherchen über eine bekannte US-amerikanische Feministin gestoßen bin, und die mich beeindruckt haben. Es sind Geschichten aus dem Patriarchat. Geschichte Nummer 1:

1868 wandert die 22jährige Hester Vaughn aus England nach Amerika aus. Sie will dort ihren Verlobten heiraten, aber es stellt sich heraus, dass der inzwischen schon eine andere geheiratet hat. Hester schlägt sich als Scheuermagd durch und findet schließlich als Milchmagd eine Anstellung auf einer Farm. Eines nachts wird sie von dem Farmer vergewaltigt. Als ihre Schwangerschaft sichtbar wird, gibt der Mann ihr 40 Dollar und schickt sie weg. Sie geht nach Philadelphia, wo sie als Näherin arbeitet und in Hauseingängen schläft, erst kurz vor der Niederkunft mietet sie sich von ihrem letzten Geld eine unbeheizte Dachstube. Sie hat seit drei Tagen nichts gegessen. In der Nacht bekommt Hester starke Wehen. Sie ruft um Hilfe, aber draußen tobt ein Schneesturm, niemand hört sie. Erst am nächsten Tag hört die Vermieterin das schwache Rufen. Als sie die Tür öffnet, liegt Hester am Fußboden in einer Blutlache, ihr totes Baby neben ihr. Eine Stunde später ist die Polizei da. Hester Vaughn wird ins Gefängnis gebracht, und wegen Kindsmordes zum Tode verurteilt.

Geschichte Nummer 2: Im Frühjahr 1870 wollen die beiden Schwestern Victoria Woodhull und Tennessee Claflin bei Delmonico's, einem noblen New Yorker Restaurant, zu Abend essen. Sie bestellten Tomatensuppe für zwei. Es gibt damals aber ein ungeschriebenes Gesetz, wonach Frauen abends nicht ohne männliche Begleitung in Restaurants essen gehen dürfen. Der Kellner, unsicher, was er machen soll, ruft den Besitzer. Lorenzo Delmonico geht an den Tisch der beiden Frauen und flüstert ihnen zu: "Es hat wohl ein Irrtum vorgelegen, als man Ihnen einen Tisch gegeben hat. Wir sind davon ausgegangen, dass sich noch ein Herr zu ihnen gesellen würde. Tun Sie doch bitte so, als würden Sie sich mit mir unterhalten, und ich bringe Sie zur Tür. Dann sieht es so aus, als hätten Sie nur mit mir sprechen wollen, und wir erregen kein Aufsehen".

Seit einiger Zeit sprechen Frauen vom Ende des Patriarchats. Angefangen haben damit 1996 italienische Feministinnen aus Mailand und Verona, aber inzwischen hat sich dieser Ausdruck immer mehr auch bei uns verbreitet. Dennoch reagieren viele Frauen, wenn sie diesen Ausdruck zum ersten Mal hören, skeptisch. Was ist damit gemeint? Gibt es nicht immer noch Benachteiligung, Diskriminierung, Ungerechtigkeit gegenüber Frauen?

Luisa Muraro, eine italienische Philosophin, hat geschrieben, dass es nicht darum geht, "das Ende des Patriarchats zu diskutieren oder zu beweisen, sondern diesem Gedanken einfach einen Platz einzuräumen". Was fällt mir ein, wenn ich solche Geschichten wie die von Hester Vaugh oder Victoria Woodhull höre und gleichzeitig versuche, dem Gedanken an das Ende des Patriarchats einen Platz einzuräumen?

Als erstes fällt mir ein, dass die Zeiten sich geändert haben. Heute, bei uns oder auch in den USA, würde Hester Vaughn nicht mehr zum Tode verurteilt und es ist längst völlig selbstverständlich, dass Frauen ohne männliche Begleitung im Restaurant bedient werden. Luisa Muraro hat die Formulierung gewählt: "auf das ersparte Leid zu achten". Das finde ich sehr wichtig – sich bewusst zu machen, wie viel Leid uns und anderen Frauen erspart bleibt, im Vergleich zu anderen Frauen – die früher lebten, oder die heute woanders, in anderen Umständen, leben.

Natürlich gibt es auch heute noch Geschichten, die grausam oder diskriminierend sind. Es sind, immer noch, schlimme Zeiten. Warum sage ich dennoch, das Patriarchat ist zu Ende? Ist es nicht einfach so, dass es zwar in einigen Ländern weniger Frauendiskriminierung gibt, aber das Problem grundsätzlich bestehen bleibt? Ich meine, Nein. Um zu erklären warum, möchte ich erzählen, wie diese beiden Geschichten weitergingen:

Geschichte Nummer 1: Im Gefängnis wird Hester Vaughn von einer Ärztin untersucht, Susan A. Smith. Ihr erzählt sie ihre Geschichte: Susan Smith geht damit zu Anna Dickinson, einer berühmten Rednerin für Frauenrechte, die in Philadelphia wohnt. Anna Dickinson fährt nach New York, wo Elizabeth Cady Stanton und Susan B. Anthony die Frauenzeitung "The Revolution" herausgeben. Sie organisieren eine Protestveranstaltung, bei der Anna Dickinson mit ihrem bekannten Redetalent selbst männliche Reporter zu Tränen rührt, es erscheinen kritische Berichte über das Todesurteil in verschiedenen Zeitungen. Elizabeth Cady Stanton reicht ein Gnadengesuch beim Gouverneur von Philadelphia ein. Ein Jahr lang schreibt "The Revolution" regelmäßig über den Fall, überall im Land machen Frauen Lobbyarbeit, nutzen persönlichen und familiären Einfluss, um einflußreichen Politikern und Journalisten klarzumachen, dass dieses Urteil Unrecht ist. Ein Jahr später wird Hester Vaughn freigelassen.

Geschichte Nummer 2 geht so aus: Victoria Woodhull sagt zu dem Restaurantbesitzer Delmonico: "Kein Aufsehen erregen? Was soll das heißen". "Ich kann Sie hier nicht ohne einen Mann essen lassen. Das würde einen schlimmen Präzendenzfall schaffen", antwortet Delmonico nervös. "Wir möchten Sie nicht in Verlegenheit bringen", sagt Tennessee, steht auf, verlässt das Restaurant, und kommt im nächsten Moment mit ihrem Kutscher in seiner Livree wieder zurück, der sich, mit sichtlichem Unbehagen, mit an den Tisch setzten muss. "Und nun, Kellner", sagt Victoria, bringen Sie uns Tomatensuppe für drei".

Die Liebe der Frauen zur Freiheit hat die Welt verändert. Es nicht die Einsicht der Männer gewesen, es waren nicht die Erfordernisse des Kapitalismus oder der Fortschritt der Demokratie, die das Ende des Patriarchats herbeigeführt haben, sondern die Liebe der Frauen zur Freiheit. Die Italienerinnen schreiben in einer ihrer Flugschriften, dem roten Sottosopra, das Patriarchat ist zu Ende, weil die Frauen ihm den Kredit, die Glaubwürdigkeit, entzogen haben.

Das heißt, das Ende des Patriarchats hat zwar eine historische Dimension – in den letzten hundert, den letzten dreißig Jahren hat sich vieles verändert – aber das ist nicht alles. Es gibt kein festes Datum, keinen bestimmten Zeitpunkt. Denn wenn das Patriarchat zu Ende ist, weil Frauen ihm die Glaubwürdigkeit entziehen, dann ist es schon immer zu Ende: Es war zu Ende, als Tennessee Claflin und Victoria Woodhull einfach den Kutscher riefen und so das Patriarchat lächerlich machten. Es war zu Ende, als Frauen sich für die Freilassung von Hester Vaughn einsetzten……
Das ist heute, so meine ich, unsere wichtigste Aufgabe: auch nach dem Ende des Patriarchats einen Platz für das weibliche Begehren freizuhalten. Wir dürfen unsere Begehren nicht klein halten, indem wir uns – vermeintlich vernünftig – Sachzwängen, Strukturen, Effizienzdruck und Verhaltensnormen unterwerfen. Wir müssen unserem Verstand, unserer Vernunft, unserer Anpassungsfähigkeit, unserem Wunsch, dazuzugehören, misstrauen. Und wenn das bedeutet, so hat es die Philosophin Chiara Zamboni neulich formuliert, dass wir wie ein kleines zorniges Mädchen mit dem Fuß aufstampfen und ganz erregt sagen: "Ich will aber!". Stur, bockig, aber mit unerschütterlichem Vertrauen darauf, dass nichts unmöglich ist. Auch nach dem Ende des Patriarchats brauchen wir das weibliche Begehren. Damit es auch in Zukunft Wege öffnet, die über diese Welt hinaus führen: Wege ins Neue, Unvorhergesehene, bisher – auch von uns selbst - für unmöglich gehaltene.

meine geliebte häxi hat diese welt am 19.11.2009/ 18h verlassen um als engelein bei mir zu bleiben

meine geliebte häxi hat diese welt am 19.11.2009/ 18h verlassen um als engelein bei mir zu bleiben

mein anderes blog :